Wider die ökonomische Apartheid

Von Robert Poth · · 2005/06

Was von Wirtschaftsliberalen und mächtigen PolitikerInnen abgefeiert wird, steht begründet unter dem Verdacht, entwicklungspolitisch fragwürdig zu sein. Hernando de Sotos Konzept einer „Befreiung“ des Kapitals der Armen könnte eine Ausnahme sein.

Mit seinem Konzept einer Integration des informellen Sektors gelingt es dem peruanischen Ökonomen Hernando de Soto seit Jahren, nicht nur alle möglichen Auszeichnungen wirtschaftsliberaler Institutionen einzuheimsen, sondern auch Staatschefs in dutzenden Entwicklungsländern in seinen Bann zu ziehen. Warum das so ist, lässt sich vielleicht am Beispiel der Philippinen verstehen. Dort kündigte Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo im Vorjahr ein „Urban Asset Reform Program“ im Geiste de Sotos an, das die im informellen Sektor existierenden Vermögenswerte in die formelle Wirtschaft überführen soll. Dabei könnte es sich um mehr als 130 Mrd. US-Dollar handeln – mehr als das Eineinhalbfache des Bruttoinlandsprodukts des Landes. Das weckt Phantasien. Wenn die Regierung „diese toten Vermögenswerte in lebendiges Kapital verwandeln kann, werden wir keine ausländischen Investitionen oder Auslandskapital brauchen“, meinte im Jänner etwa Gondelina Amata, zuständig für die Überwachung der mit der Reform beauftragten Behörde.
Eine attraktive Vision, die im Prinzip korrekt ist – auch wenn sie einem seit Jahrzehnten hochgehaltenen entwicklungspolitischen Credo zu widersprechen scheint, wonach der Süden unter „Kapitalarmut“ leide, die durch Transfers aus dem Norden beseitigt werden müsste: Zu geringe Ersparnisse und zu niedrige Investitionen sind demnach für die niedrigen Wachstumsraten verantwortlich, die vor allem in Lateinamerika und Afrika beobachtet werden. Tatsächlich sind die Ersparnisse in armen Ländern aber beträchtlich – etwa in Gestalt der Vermögenswerte im informellen Sektor, die vor allem aus Häusern und Grundstücken bestehen. Und die können per Kredit in Geld bzw. Kapital verwandelt werden, aber nur, wenn sie mit Eigentumstiteln versehen sind und als Kreditsicherheit akzeptiert werden. Dafür zu sorgen ist der Kern der Reformidee de Sotos.

Die Aufgabe wäre gewaltig. Nach Angaben von UN-Habitat etwa sind in Afrika südlich der Sahara nur 10 Prozent der Nutzflächen überhaupt registriert, in manchen Ländern nur 1 Prozent, und in städtischen Slums leben weltweit bereits mehr als 900 Millionen Menschen, zumeist ohne sichere Miet- oder Eigentumsrechte. In den armen Ländern, so schätzte das von de Soto gegründete „Institute for Liberty and Democracy“ in Lima/Peru Ende der 1990er Jahre, dürfte allein das Vermögen an offiziell nicht registrierten Immobilien (Wohnungen, Häuser, Anbau- und Weideflächen) rund 9.300 Mrd. Dollar wert sein. Der Großteil (6.740 Mrd.) entfällt dabei auf urbane Regionen.
Dieses Vermögen gehört großteils der Bevölkerungsmehrheit, die es außerhalb des Rechtssystems, im informellen Sektor der Wirtschaft gebildet hat. Dieses ökonomische Apartheidsystem, meint de Soto, wirkt als Entwicklungsblockade: Informalität bedeutet hohe Kosten, Ineffizienz und vor allem keinen oder nur mangelhaften Zugang zu Kredit. Die Transformation von Vermögen in Investitionskapital mittels Kreditschöpfung ist aber das Um und Auf einer kapitalistischen Wirtschaft. Insofern leiden die Entwicklungsländer nicht an zuviel, sondern an zuwenig Kapitalismus: Das gesamte offiziell nicht registrierte Vermögen ist „totes Kapital“, im Gegensatz etwa zu den USA, wo die Hypothek auf das Haus die wichtigste Finanzierungsquelle für Existenzgründungen darstellt.

Soweit die Theorie. Praktisch ist der Weg von hier nach dort aber mit Stolpersteinen gepflastert. Einmal geht es dabei nicht bloß um Rechtstitel. Ein verbrieftes Recht allein macht einen Vermögenswert noch nicht zur Kreditsicherheit. Landrechtstitel, die im Zuge von Reformen in Afrika an BäuerInnen vergeben wurden, erwiesen sich in dieser Hinsicht als ineffektiv, da die Banken nicht darauf vertrauten, ihre Forderungen auch durchsetzen zu können: Die Exekutionsverfahren sind zu langwierig, kostspielig und riskant. Und schließlich müsste eine solche Reform gleichzeitig auch alle jenen rechtlichen und faktischen Bedingungen erfassen, die bisher für die Abdrängung wirtschaftlicher Aktivitäten in die Informalität gesorgt haben – denn sonst entsteht in ihrem Schatten wieder genau jene Spaltung, die beseitigt werden sollte.
Jenen internen Bedingungen, die gerade in armen Ländern als teilweise unüberwindliche Hürden eine offizielle unternehmerische Tätigkeit erschweren oder verhindern, widmete die Weltbank ihren Weltentwicklungsbericht 2005 („A better investment climate for everyone“), und seit 2004 versucht sie, die diesbezügliche Entwicklung im Rahmen ihrer „Doing Business“-Publikationsreihe zu verfolgen. Zu den Indikatoren gehören etwa Kosten, Dauer und Zahl der notwendigen Prozeduren bei der Gründung eines Unternehmens, bei der Kreditaufnahme, bei der Registrierung eines Eigentumstitels auf ein Haus oder Grundstück und eben auch bei der Exekution eines säumigen Schuldners.

Dass bei einer derartigen Reform idealerweise alles Hand in Hand gehen müsste, dürfte das Hauptproblem sein. Denn es ist mit hartnäckigem Widerstand aller jener Gruppen und Sektoren zu rechnen, die von der bisherigen „Apartheid“ und der damit einhergehenden Korruption profitieren. In Peru, wo de Soto in den 1980er Jahren begann, seine Ideen in die Tat umzusetzen, wurden einige Reformschritte drei Jahre lang durch die Notariatskammer blockiert, da sie ihre traditionellen Pfründe unweigerlich dahinschwinden sah. Auch mit Regulierungsbehörden und Parlamenten sei Zusammenarbeit oft unmöglich, bilanziert de Soto heute: „Es ist, wie Ludwig den XIV. zu ersuchen, eine Republik zu gründen.“
Selbst wenn alle Hürden genommen wären – und das ist bisher noch nirgendwo gelungen – ist die erhoffte Bonanza aber nicht garantiert. Eine Kreditexpansion wird generell nur insoweit zustande kommen, als es sich auszahlt, zu investieren. Das gilt für den Privatsektor, aber letztlich auch für den Staat. Dabei kommt es auch auf die externen Rahmenbedingungen an. Von Auslandsverschuldung, einer unfairen Integration in das Welthandelssystem oder fallenden Rohstoffpreisen einmal abgesehen, kann es ausreichen, an einer einzigen Schraube zu drehen, um das Investitionsklima schlagartig verändern: Etwa in Argentinien, wo die drastische Abwertung des Peso nach 2002 für einen Aufschwung der zuvor stagnierenden Investitionen sorgte.
Insofern ist es auch nicht überraschend, dass sich die der Reform zugeschriebene zusätzliche Kreditschöpfung in Peru in Grenzen hält, ebenso auch in El Salvador (siehe Kasten). Dass sich nur Teilerfolge erzielen lassen, heißt aber nicht, dass das Konzept falsch wäre – zumindest solange man wie de Soto glaubt, dass der Kapitalismus („einstweilen“) die einzige Möglichkeit ist, „Freiheit, Solidarität mit den Armen, Achtung vor dem Gesellschaftsvertrag und Chancengleichheit“zu erreichen.



Reformergebnisse in Peru/El Salvador

  • Peru (2002) 6,3 Mio. PeruanerInnen unter der Armutsgrenze wurden EigentümerInnen ihrer Immobilien

  • ca. 1,2 Mio. Titel registriert (fast ausschließlich Wohnungs- und Hauseigentum im urbanen Bereich)

  • 300 Mio. Dollar an zusätzlich generierten Hypothekarkrediten

  • 254 Mio. Dollar an ersparten Verfahrenskosten für neue EigentümerInnen

  • 380.000 Unternehmen legalisiert, die hauptsächlich Armen gehören

  • 560.000 zusätzliche Arbeitsplätze, 300 Mio. Dollar zusätzliche Steuereinnahmen jährlich

  • El Salvador (Ende 2003): 1 Million Menschen durch Grundeigentumsreform abgesichert; 800 Mio. Dollar neue Hypothekarkredite, Laufzeit bis zu 30 Jahren, Zinssatz 6%.


  • Quelle: www.ild.org.pe (ILD), COFOPRI

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